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First world problems - Was wir von Afrika lernen können

Aktualisiert: 11. Dez. 2019



1. Hakuna Matata - Weg mit dem Putzfimmel und den Angstneurosen


Ich hätte nie gedacht, dass mich eine saubere Toilette so glücklich machen könnte. Aber nach zwei Monaten Afrika habe ich nach dem Besuch einer öffentlichen Toilette in Europa innerlich gehüpft wie ein Cheerleader. „Gib mir ein ”T“…!”. Die mangelnde Hygiene ist ein Problem in Afrika – aber die Fähigkeit der Menschen, Gerüche und überall herumliegenden Müll zu ignorieren, liessen mich auch das unsrige Hygieneverhalten überdenken. Nicht dass ich sauberes Trinkwasser, desinfizierte Toiletten und Mülltrennung in Frage stellen würde, aber man kann es auch in die andere Richtung übertreiben. Bei uns gibt es Leute, die putzen ihre Wohnung bevor die Putzfrau kommt oder lassen ihre Kinder nicht auf dem Boden rumrutschen aus Angst, sie könnten Dreck verschlucken. Bei uns werden im Herbst die gefallenen Blätter mit einer Luftdruckmaschine vom Bordstein gepustet. Ich meine, wir könnten ein bisschen mehr “laissez faire” vertragen. Dasselbe betrifft unser Sicherheitsdenken. Natürlich will ich nicht auf Sicherheitsgurte, Helme und Verkehrsregeln verzichten, aber wir leben in einem der sichersten Länder der Welt und trotzdem blühen bei uns alle Arten von Angstneurosen. In Afrika spielen Kinder Fussball an befahrenen Strassen und Autos werden bis zum Dach mit Menschen vollgestopft. Als ich in Senegal den vierjährigen Alfie mahnte, nicht so nah ans Feuer zu gehen, sah er mich mit grossen Augen an. Ich begriff erst später das kleine Buschkinder ihre Kräfte selbst einschätzen können. Sobald sie laufen können, klettern sie auf Bäume und scheinen von früh an sehr unabhängig und angstfrei zu sein. Vielleicht würde es uns gut tun, wieder ein bisschen mehr Vertrauen zu haben.


Straßenmarkt in Bamako Mali

2. Alles gehört allen - Du hast mehr wenn du teilst


Auf der grossen runden Platte war Reis mit angebratenen, scharfen Zwiebeln und obendrauf verteilt ein paar gegrillte Fischstückchen. Blitzschnell hab ich die Reisplatte durch die Anzahl der Personen geteilt, die um die Platte herum sassen und einen Löffel in die Hand gedrückt bekamen, und konkludierte: Sechs Erwachsene und zwei Kinder werden nie und nimmer satt von diesem spärlichen Menu. Da ich grossen Hunger hatte, folgte meiner Mathematik ein kleiner Futterneid, welcher ebenso blitzschnell von meiner Selbstreflektion in den Boden geschämt wurde. Noch während ich über meinen Egoismus – der sich übrigens sehr westlich anfühlte - nachdachte, schob mir mein Tischnachbar wie selbstverständlich die besten Fischstücke zu, was meiner stillen Scham quasi den Rest gab aber mir auch das Gefühl vermittelte sehr willkommen zu sein. Die Konfrontation mit anderen Kulturen kann sehr verwirrend sein. Jeder ass langsam und wenig, so dass am Ende sogar Essen übrig blieb, was dann an die Hunde verfüttert wurde. Ich erkannte, dass mir mein Wohlstand eine Art von Isolation erlaubt, die nicht immer gesund ist für mich. In Afrika legt man mehr Wert auf die Gemeinschaft als auf das Individuum. In weiten Teilen des Landes haben die Leute kein eigenes Zimmer oder einen eigenen Teller. Man schläft gemeinsam in einem Raum und isst gemeinsam von einer grossen Platte. Wenn ein Familienmitglied zu Geld kommt, teilt es den Gewinn mit dem Rest der Familie. Die Familienstrukturen ersetzen das Sozialnetz. Alleinerziehende Mütter sind nie allein. Natürlich bringt diese Art des Zusammenlebens einen Haufen anderer Probleme mit sich, wie zum Beispiel das Wegfallen von Privatsphäre oder finanzielle Abhängigkeiten. Aber wir hätten im Gegensatz zu den Menschen, denen wir in Afrika begegnet sind die Wahl, unsere Prioritäten zu verschieben. Wir brauchen nicht so viel Raum, nicht so viele Klamotten, nicht so viel Kram und vom Rest haben wir mehr, wenn wir ihn teilen.


Afrikas Gastfreundschaft - Diese Jungs haben uns von der Straße weg zum Essen eingeladen und uns den Äthiopischen Kalender erklärt.

3. Gastfreundschaft


Wir wurden von der Straße reingewunken, als wir etwas schüchtern aber neugierig, den Klängen einer Kora folgend, in den Eingangsbereich einer bestuhlten Feierlichkeit spähten. Ein paar Sekunden später wurden wir in der ersten Reihe neben schön gekleideten Menschen platziert, die uns etwas zu Knabbern anboten. Erst als wir das Haus wieder verließen, erklärte uns ein englischsprachiger Gast, dass wir soeben an einer Trauerfeier teilgenommen hatten. Die Gastfreundschaft, die wir an diesem Abend von einer trauernden Familie in Äthiopien erfuhren, hat mich zu Tränen gerührt. Hier bedeutet Gastfreundschaft nicht nur die Freude sondern auch den Schmerz mit Fremden zu teilen. Selbst in der schwierigsten Stunde die Tür aufzumachen. Man stelle sich nur mal vor, dass würde bei uns passieren. Bei der Beerdigung eines Familienmitgliedes würden zwei offensichtlich ausländische Menschen neugierig zur Tür hereinschauen und wir würden sie daraufhin reinbitten, in die erste Reihe setzen und bewirten. Undenkbar. Vielleicht ist Äthiopien nicht umsonst eines der Länder, das überdurchschnittlich viele Flüchtlinge der umliegenden Krisengebiete aufnimmt. Obwohl es selbst eines der ärmsten Länder Afrikas ist, machen aufgenommene Flüchtlinge rund 10% der Bevölkerung aus. Da kann sich das ein oder andere Land in Europa mal eine Scheibe von abschneiden.



Back to the roots - Von Zeit zu Zeit tut es gut, die Zeit los zu sein.


4. Back to the roots baby - Schau mal wieder in die Sterne


Eigentlich wissen wir alle, wie gut es tut den ganzen Tag in der Natur zu verbringen. Wie zentrierend es sein kann unter einem weiten, dunklen Himmel zu liegen und das Funkeln der Sterne zu beobachten, während die Grillen in Hintergrund ein Zirp-Konzert zum Besten geben. Wenn es keine Unterhaltung in Form von Fernsehern, Kinos oder Büchern gibt, ist man gezwungenermassen auf die einfachsten Dinge des Lebens beschränkt. Und genau diese einfachen Dinge bringen uns zurück in die Mitte. Eine Woche lang sass ich jeden Abend auf einem Plastikstuhl und habe zusammen mit ein paar Menschen, deren Sprache ich nicht verstand, am Feuer gesessen. Es war die einzige Wärmequelle, also mussten wir uns zusammentun. Auf meinem Schoss sass meistens ein schlafendes Hundebaby, zu meinen Füssen ein paar Katzen. Manchmal haben wir Musik gemacht, oft nur in die Flammen geschaut und nachgedacht. Vermisst habe ich nichts. Weder Netflix noch Facebook. Geschlafen habe ich wie ein Baby, so mitten im Busch. Afrika hat mir gezeigt woher ich komme und wohin ich wieder gehen werde. Verbunden zu sein mit den Tieren und der Natur macht glücklich und setzt Kräfte frei. Man wird wieder fokussierter. Etwas, was in den Ablenkungen des Grossstadtdschungels leicht verloren geht.





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