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AutorenbildMartin Fliegenschmidt

Mongolei - oder: wie uns Dschingis Khan einmal das Fürchten lehrte

Aktualisiert: 11. Dez. 2019


Mit einem ausrangierten russischen Militärbus geht es durch die Mongolei...

Wie ein wildes Tier umkreist er mit schweren Schritten unsere Jurte. Immer wieder brüllt er uns an, abwechselnd auf Mongolisch, Englisch und Deutsch. Drinnen sitzen wir zwei im Dunkeln, versuchen so still wie möglich zu sein und verbarrikadieren provisorisch die Tür mit dem dafür viel zu kleinen Holztisch. Hätte ich bei der fermentierten Stutenmilch vielleicht doch mehr zuschlagen sollen, um mir Mut anzutrinken? Aber warum ist der Fast-Zwei-Meter-Hüne da draußen überhaupt so irre wütend, obwohl er doch eigentlich unser Tourguide ist? Und wie sind wir bloß in diese absurde Situation geraten? Allein, in einer kalten Herbstnacht, mitten in der Mongolei, am Rande der Wüste Gobi?


Die Mongolei ist ein wunderschönes und sehr vielseitiges Land, ihre spektakuläre, rauhe Natur und ihre gastfreundlichen nomadischen Bewohner machen sie zu einem der spannendsten und faszinierendsten Länder auf unserer Reise. Und eigentlich ist die Mongolei auch ein reiches Land. Sie hat viele Rohstoffe, der Tourismus bietet ein noch immer nur teilweise ausgeschöpftes Potenzial und die Bevölkerung ist auf einer riesigen Landfläche kleiner als die von Berlin. Klimatisch macht seine Lage es dem Land allerdings schwierig beim Anbau (kurze Sommer, harte Winter, schlechte Böden) und geografisch bei dem Transport jedweder Güter (wenig Flüsse, keine Häfen, Schotterpisten). Die nomadische Viehzucht ist hauptsächlich subsidiär. Für den Export nennenswerte Landwirtschaft oder Industrieproduktion hat die Mongolei daher kaum und ist auch bei der Ausbeutung seiner Rohstoffe auf ausländische Investoren angewiesen, deren Interesse wohl nie mongolischer Wohlstand war, sondern ihre eigene Rendite. Der Stolz der Mongolen auf ihr einst erobertes Weltreich ist noch überall zu sehen, schon am Dschingis-Khan-Flughafen (sic!) von Ulan Bator wird man von übergroßen Gemälden der wichtigsten Herrscher seit dem 15.Jhdt empfangen - alles Khan, nix muss.

Stolz und Ehre spielen hier eine große Rolle. Generell ist das Land sehr seinen Traditionen verpflichtet. Gleichzeitig stehen Stolz und Tradition unter Druck und werden aufgeweicht von westlichen Einflüssen und der Dominanz zweier großer und mächtiger Nachbarn: China und Russland. Zusätzlich äußern die meisten älteren Leute Ängste, dass die Urbanisierung und die damit einhergehende Zuwendung jüngerer Generationen zu einem westlichen Lebensstil und neuen Idealen zur Folge hat, dass die reiche traditionelle mongolische Kultur zunehmend verschwindet. Der Tourismus spielt dabei eine nicht ganz leichte Rolle: zum einen bringt er Jobs und Einnahmen für die Bevölkerung, zum anderen aber auch eine Öffnung und Veränderung des Landes, die vielen dort vielleicht zu schnell geht. Wie immer liegt eine Gefahr des Tourismus darin, dass er genau das verändert, was er so anziehend an dem Land findet. Die wilde Natur und relative Menschenleere, die kulturelle Eigenständigkeit und traditionelle Ausrichtung, all das wandelt sich mit Tourismus und Fortschritt.





Auch unser Tourguide hat sich über diese Veränderungen und den mangelnden Respekt gegenüber Älteren und ihren Traditionen beschwert. Seine Generation ist hier noch im Kommunismus aufgewachsen, er hat mal mehrere Jahre in Ostberlin gelebt, als Tourguide später viele junge Reisende aus dem Westen in der Mongolei begleitet und ein ziemlich klares Bild davon, wie wir jungen Europäer angeblich so sind... Vielleicht hat das alles dazu beigetragen, dass er jetzt so sauer auf uns ist? Vielleicht hätten wir nicht nachfragen sollen, ob wir bei klirrend kalten fünf Grad nicht doch in der 100 Meter entfernt stehenden Jurte (einem Nomadenzelt) mit Ofen schlafen können, statt wie von ihm vorgeschlagen in einem einfachen Zelt ohne ausreichend warmes Equipment? Vielleicht hat er auch einfach eine der Wodkaflaschen aus unserem Bus gekillt. Wahrscheinlich all das zusammen... auf jeden Fall sitzen wir jetzt in der Patsche und wissen nichts besseres als zu warten, bis der mongolische Sturm draußen vorüber zieht oder sich schlafen legt. Irgendwann hören wir, wie unser Fahrer, der kein Wort englisch spricht, unseren aufgebrachten Guide auf mongolisch versucht zu beruhigen. Die Brüllattacken werden weniger und müder. Nach ein paar Stunden hören wir nichts mehr von draußen. Wir warten noch bis die Sonne um halb sechs aufgeht und trauen uns wieder aus unserer Jurte. In der wärmenden Morgensonne fühlt sich alles wie ein absurder Albtraum an. Als ich zum Pinkeln 50 Meter in die Steppe hinaus gehe, schaue ich mich trotzdem etwas paranoid um - finde aber nichts außer dem Skelett eines Kamelschädels.





Später am morgen taucht unser Guide aus seinem Zelt auf, wir stellen ihn zur Rede und sind perplex, als er alles leugnet. Von nun an werde es außerdem gefälligst so weitergehen, wie er es sagt - schließlich sei er der Ältere und hätte hier das Sagen! Wir ringen kurz um Fassung, bevor wir uns kopfschüttelnd abwenden.

Mit viel Mühe gelingt es uns schließlich mitten im Nichts einen neuen Guide über den Tourenveranstalter zu organisieren, der einige Stunden später eintrifft und übernimmt. Wir sind froh als wir losfahren und unseren etwas schrägen Tourguide hinter uns lassen können. Unser neuer weiblicher Tourguide könnte denn auch warmherziger nicht sein. Sie nimmt uns direkt in den Arm und mit ihr haben wir noch ein paar wundervolle Tage.


Natürlich treffen wir so viele gastfreundliche und offene Menschen und erleben so viele faszinierende Dinge, dass die Geschichte mit dem Guide nur eine einzelne, seltsame Episode unser Zeit in der Mongolei bleibt. Trotzdem lässt sie uns darüber nachdenken, was die Entwicklung dieses Landes mit seinen Menschen macht.

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